Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Protestballaden statt Nostalgie

Im Sommer gab es noch Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende. Dann kamen im Dezember 1992 in Serbien die Wahlen. Die Kriegstreiber fanden die Unterstützung der Wähler. Dennoch - oder gerade deswegen - singen immer mehr Rockmusiker oder Chansoniers gegen den Krieg und den kleinen Diktator Belgrad

"Ob wir hier zur Zeit überhaupt eine politische Szene haben?" Rambo Amadeus weiß die Antwort selbst am besten. "Die meisten meiner Kollegen befinden sich in einer Art Winterschlaf. Sie warten darauf, dass sich die Zeiten ändern und sie in Ruhe weiterarbeiten können." Rockstar Rambo, vor 25 Jahren im montenegrinischen Herzog Novi als Antonije Pusic geboren, gehört zu den wenigen, die noch wach sind. "Ohne unsere Aktionen wird sich hier gar nichts tun. Jetzt schweigen, heißt, diesen sinnlosen Krieg akzeptieren."

Seit seinem Umzug in die serbisch-jugoslawische Hauptstadt Belgrad vor vier Jahren hat Rambo drei LPs produziert. Seine Musik ist eine seltsame Mischung aus Rock, Funk, Rap und Folklore. Seine Texte richten sich gegen das kommunistische Regime, gegen den Krieg und die Passivität seiner Landsleute. In den sechs Monaten seit dem Ende der Studentendemonstrationen hat Rambo jede Gelegenheit genutzt, sich öffentlich zu äußern. Seine Reden und seine Lieder strotzen vor Sarkasmus und Satire gegen die Kriegstreiber, die sich um den serbischen Präsidenten Sloban Milosevic scharen.

"Besonders das staatliche Fernsehen wird bei uns kontrolliert. Mehrmals täglich siehst Du, wie Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart in drei Minuten aus Sicht des Regimes abgehandelt werden. Das Muster ist immer gleich: Serbien wird von allen Seiten bedroht. Das war schon immer so. Jedes Mal haben wir gewonnen. An dieser Propaganda werden auch meine Songs nichts ändern", weiß Rambo Amadeus.

Seine Musik spielen nur die kleinen, städtischen Radiostationen. "Deren Hörer sind sowieso meiner Meinung. An die Leute in den Dörfern komm ich nicht heran."

Die weniger nachdenklichen Leute könnten vielleicht der Chansonier Djordje Balasevic aus Novi Sad erreichen. Er hat in den letzten 20 Jahren hauptsächlich von Liebe, Nostalgie und vom Feiern gesungen. Erst bei Kriegsbeginn im Frühsommer 1991 entdeckte der 40jährige Showstar seinen Hang zu beißender Satire, politischem Witz und gefühlvollen Protestballaden. Kurz nach Balasevics ersten Auftritten mit dem neuen Programm erreichte ihn der Einzugsbefehl zum Militärdienst. "Das hat natürlich nichts mit meiner Meinung über gewisse serbische Politiker zu tun", meint er sarkastisch. Balasevic zog es vor, unterzutauchen. "Das ist nicht mein Krieg und ich werde mich auch nicht daran beteiligen."

Bis September 1992 suchte ihn die Militärpolizei, vergebens. Aber dann tauchte Djordje plötzlich wieder im Fernsehen auf, nicht ohne das Ergebnis seiner Emigration vorzustellen, eine Attacke auf den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic. "Slobodan, sloboda – ne!", zu deutsch etwa "Slobodan, Leute wie du sollten nicht frei herumlaufen". Dass nur die unabhängigen Radiostationen der Großstädte seinen Song spielten, war Entertainer Balasevic nicht genug: Alte Kontakte zum jugoslawischen Showbusiness halfen ihm, das Sawa-Zentrum, die größte Halle der serbischen Hauptstadt, für ein Konzert zu buchen. Der Erfolg war gewaltig: Für acht angesagte Konzerte verkauften sich 30 000 Karten. Das Publikum gab jeden Abend stehende Ovationen. Eines der bedeutsamsten kulturellen Ereignisse des Jahres ’92 war der Auftritt des Sängers gegen das Regime.

Im Ausland werden solche Protestformen kaum erwähnt. Im Dezember sollte ein Festival zugunsten vom Krieg bedrohte Kinder in Subotica, nahe der ungarisch-jugoslawischen Grenze, stattfinden. Aus Italien, Makedonien, Serbien, Frankreich und Montenegro waren Bands angereist und fanden eine fast leere Halle vor. "Wir konnten die Sache nur retten, weil die Besitzer der Clubs aus eigener Tasche draufzahlten", erklärt Milan Mladenovic, Gitarrist der Gruppe "Ekaterina Velika" (Katharina die Große). Wenige Tage später wiederholte sich die Vorstellung im ungarischen Segedin. "Das Konzert sollte zeigen, dass die jugoslawischen Rock- und Popbands gegen diesen Krieg sind, aber es waren nur ein paar hundert Kids aus der Stadt gekommen", berichtet Milan. "Alles, was aus Jugoslawien kommt, wird derzeit blockiert."

Zusammen mit Kollegen aus den Bands "Elektricni Orgazam" (Elektrischer Orgasmus) und "Partibrejkers" (Ungeladene Gäste) hat Milan im Frühjahr 1992 "Rimtuki Tuti" aus der Taufe gehoben. "Der Name ist eines unserer Wortspiele", erklärt er lachend, "wenn man die Buchstaben richtig zusammenstellt, ergibt sich der Satz ‚Turim ti kitu’. Das heißt soviel wie ‚ich werde dich ficken", eine Anspielung, die die serbische Politik aufspießt.

Hauptaufgabe der Allstar-Formation war es bisher, Konzerte gegen den Krieg zu organisieren. "Im Frühjahr vergangenen Jahres haben wir auf eigene Kosten eine Single gepresst, und an alle europäischen Radiostationen geschickt. Leider wurde ‚Mir, Brat, Mir’, (Friede, Bruder, Friede), nur wenig gespielt."

Die Mitglieder von "Rimtuki Tuti" sind bereit, überall dort zu spielen, wo sie ihre Ansichten verbreiten können. Das Projekt soll die schlafenden Musiker und Künstler wecken und gegen den Krieg mobilisieren. "Es ist unsere Aufgabe auch für diejenigen zu sprechen, die immer noch schweigen", sagt Milan Mladenovic. "Gerade nach den Wahlen kommt es darauf an zu zeigen, dass hier nicht alle diesen Irrsinn mitmachen." Petar Janjatovic, Belgrad/Rüdiger Rossig, Berlin

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