Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Corona legt den Balkan lahm

Viele Bürger aus Südosteuropa arbeiten im reichen Westen Europas – und besuchen regelmäßig ihre Herkunftsländer. Zudem machen viele Westeuropäer Urlaub in Griechenland oder Kroatien. Mit den Reisenden kommt COVID-19. | Von Rüdiger Rossig

Bereits am vergangenen Dienstag (10.3.20) hat das an Norditalien grenzende EU-Mitgliedsland Slowenien seine Südgrenze nach Italien geschlossen. Zuvor hatte die italienische Regierung ihren mit mehr als 10.000 COVID-19-Infizierten am stärksten von der Corona-Epidemie betroffenen Staat Europas zur Sperrzone erklärt. Trotzdem wuchs die Zahl der Infizierten im nordöstlichen Nachbarland Slowenien bis Sonntag 181 der zwei Millionen Einwohner. Am Wochenende gab es auch einen ersten Toten.

Ab Montag bleiben alle Bildungsinstitutionen geschlossen. Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit mehr als 100 Teilnehmern und mit mehr als 500 im Freien sind verboten. Bei Passagieren, die am Flughafen der Hauptstadt Ljubljana ankommen, wird laut dem für Südosteuropa zuständigem Studio Wien des deutschen öffentlich-rechtlichen Medienproviders ARD Fieber gemessen.

Gefährliche Fähren

Im südöstlichen Nachbarstaat Kroatien (ca. 4,2 Millionen Einwohner), dessen knapp 2.000 Kilometer lange Adriaküste direkt gegenüber der italienischen liegt, droht der Fährverkehr zum Erliegen zu kommen. Am vergangenen Mittwoch (11.3.) traf in der Hafenstadt Split die Fähre "Marco Polo" aus Ancona ein - mit drei Infizierten an Bord. Sechs weitere Verdachtsfälle wurden nach Hause entlassen - mit der Anordnung zur "Selbstisolierung".

Insgesamt waren in Kroatien am Sonntag 38 COVID-19-Infizierungen bekannt. Die Behörden erwägen, Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit mehr als 1.000 Personen zu untersagen. Die Banken machen sich Sorgen, wie ihre Kunden an Geld kommen sollen. Und die Erzdiözese in der Hauptstadt Zagreb fordert Priester und Gläubige mit Atemwegs-Infektionen auf, die Kirchen zu meiden.

Vorsichtsmaßnahmen - überall

Beim südlichen Nachbarn Montenegro gibt es bisher keinen bestätigten Corona-Fall. Bisher wurden 40 der 650.000 Einwohner getestet, weitere 380 stehen unter "Gesundheitsaufsicht", was aber keine Einschränkungen der Bewegungs- und Reisefreiheit bedeutet. Der Flugverkehr in die italienische Hauptstadt Rom soll laut ARD bis zum 27. März eingestellt werden, Flüge nach Mailand und Bologna gibt es bereits seit über einer Woche nicht mehr.

Im nächsten südlichen Nachbarland Albanien forderte COVID-19 am Mittwoch (11.3.) sein erstes Todesopfer: Eine 73-jährige Frau. 33 der 2,8 Millionen Einwohner sind positiv getestet. Kindergärten, Schulen und Universitäten bleiben bis zum 23. März geschlossen, Konzerte, Kundgebungen und Konferenzen wurden abgesagt, der Flug- und Schiffsverkehr nach Italien ist eingestellt.

Im benachbarten Griechenland starben bereits drei Menschen an den Folgen von Corona. Rund 228 der 10,7 Millionen Einwohner wurden bisher positiv getestet. Weil die Regierung des EU-Staates von weit mehr Ansteckungen ausgeht, wurde eine Warn-SMS an alle griechischen Handynummern verschickt: Die Bürger sollen zu Hause bleiben - und bei Symptomen einen Arzt konsultieren, statt ins Krankenhaus zu gehen.

Großveranstaltungen wurden abgesagt, auch die jährliche Militärparade zum Nationalfeiertag am 25. März. Schulen und Kindergärten bleiben für zwei Wochen zu, genau wie Bars, Cafés und Restaurants. Die griechisch-orthodoxe Kirche verkündete zwar, die Heilige Messe stelle kein Ansteckungsrisiko dar. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Partei Nea Dimokratia (Neue Demokratie) mahnte dagegen, die Gesundheit habe Vorrang. Kontrolle an den Grenzen Bulgariens

Ausnahmezustand in Bulgarien

Im nördlich von Griechenland liegendem EU-Mitgliedsland Bulgarien starb vergangenen Dienstag (10.3.) eine mit COVID-19 infizierte 66-Jährige an einer Lungenentzündung. Ihr Ehemann wurde positiv getestet und muss im Krankenhaus bleiben. Beide hatten keinerlei Kontakt mit Ausländern, aber mit 98 Mitbürgern, die allesamt unter Beobachtung stehen. Mittlerweile gab es einen weiteren Corona-Toten.

Mehr als 1,2 Millionen Rumänen leben in Italien. Im osteuropäischen EU-Land ist die Angst groß, dass Italien-Rückkehrer viele Einheimischen infizieren. Sie müssen in Quarantäne - doch die Zustände sind oft chaotisch. (13.03.2020)

Am Freitag rief das bulgarische Parlament den Ausnahmezustand aus. Die Maßnahme wird vorerst einen Monat dauern - bis zum 13. April. Diese Maßnahme wird ermöglichen, Schulen, Universitäten und Glücksspielsäle zu schließen, sagte Ministerpräsident Boiko Borissov nach einer Sondersitzung der Regierung. Es sollen auch keine Sportevents und Konferenzen mehr stattfinden.

Wenige Fälle, große Sorge

Im südwestlich gelegenem Nordmazedonien sind bisher 14 Infektionen bekannt. Alle Infizierten waren zuvor in Italien oder hatten Kontakt zu Mitbürgern, die in Italien waren. Die Regierung des zwei-Millionen-Einwohnerstaats hat Tagesstätten, Kindergärten, Schulen und Universitäten geschlossen. Seit Donnerstag (12.3.) arbeiten Restaurants, Cafés und Wettbüros nur noch bis 18 Uhr, in den Krankenhäusern werden nur Notfälle angenommen. Organisierte Reisen nach Italien, Frankreich und Deutschland sind verboten.

Im benachbarten Serbien mit seinen sieben Millionen Einwohnern wurden 46 positiv getestet. Darunter befindet sich laut ARD ein chinesischer Staatsbürger, der für Huawei in der Hauptstadt Belgrad arbeiten soll. Politisch kommt die Epidemie zur Unzeit: Mitten im Wahlkampf. Die meisten Parteien, die am 26. April antreten, haben ihre Veranstaltungen abgesagt. Beobachter gehen davon aus, dass sie ihre Aktivitäten in die Medien und sozialen Netze verlegen.

Bosnien und Herzegowina: Jeder für sich

Im westlich von Serbien gelegenen Bosnien und Herzegowina sind bisher 18 Infektionen bekannt. Das 3,5-Millionen-Einwohner-Land, in dem sich kroatische, muslimische und serbische Nationalisten von 1992 bis 1995 einen blutigen Krieg lieferten, leidet unter einer extremen Föderalisierung: Gegen Corona kämpfen 14 verschiedene Gesundheitsministerien mehr oder minder unkoordiniert.

Angst vor dem Virus - leergekaufte Regale in einem Supermarket in Banjaluka/Bosnien

Im Teilstaat "Serbische Republik" wurden am Donnerstagnachmittag die Kindergärten geschlossen. Die Öffnungszeiten der gastronomischen Betriebe wurden eingeschränkt, die Nachtarbeit ausgesetzt. Wettbüros, Fitness Center und Märkte öffnen gar nicht, Einkaufszentren nur an den Wochentagen.

Im kroatisch-muslimisch dominierten Landesteil, der "Föderation Bosnien-Herzegowina", müssen seit Mittwoch alle aus Deutschland, Spanien oder Frankreich einreisenden Personen in 14-tägige Quarantäne. Das galt bereits zuvor für Reisende aus China, Italien, dem Iran und Südkorea. In der Föderation liegt neben dem Flughafen Sarajevo auch der von Billig-Airlines dominierte Flughafen Tuzla. Laut dem Nachrichtenportal klix.ba sind derzeit 161 Passagiere in Quarantäne, die am Mittwoch aus Berlin gelandet waren.

Mitarbeit/Zulieferung: Vilma Filaj-Ballvora, Florian Schmitz, Boris Georgievski, Emiliyan Lilov

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