Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Ein bißchen Frieden in Gorazde

Serbische Belagerer beginnen nach Nato-Ultimatum mit dem Rückzug - Erste UN-Blauhelme in der Schutzzone eingetroffen - UNHCR startet mit der Evakuierung der Schwerverletzten | Von Rüdiger Rossig

Hoffnung für die 66.000 Menschen in Gorazde: Nach drei Wochen Dauerbeschuß haben die Truppen der bosnischen Serben offenbar damit begonnen, sich vom Zentrum der ostbosnischen Stadt zurückzuziehen. Nach Angaben der UN-Blauhelme (Unprofor) war der Beschuß aus schweren Waffen schon am gestrigen frühen Morgen eingestellt worden. Zuvor hatte der Nato-Rat die serbischen Truppen ultimativ aufgefordert, sich aus dem Umkreis der UN-Schutzzone zurückzuziehen - und für den Fall der Nichtbeachtung massive Luftangriffe angedroht.

Aus Gorazde selbst kamen gestern widersprüchliche Meldungen: Im Gegensatz zu den Angaben der UNO berichtete Esad Ohranovic, ein Sprecher der Behörden von Gorazde, serbische Heckenschützen hätten zwischen Mitternacht und 12.00 Uhr erneut drei Menschen erschossen und sieben weitere verletzt. Auch zögen sich die serbischen Verbände nicht wie von der Nato gefordert aus der Dreikilometerzone zurück. Der bosnische Ministerpräsident Haris Silajdzic teilte in Sarajevo mit, die serbischen Angriffe gingen weiter. Die Berichte wurden von den in Gorazde stationierten UN-Soldaten und UN-Mitarbeitern zunächst nicht bestätigt.

Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) sollten die ersten Verletzten gestern am Abend mit Hubschraubern aus Gorazde nach Sarajevo ausgeflogen werden. Die Zahl der Verletzten schätzt das UNHCR auf 2.000, darunter 600 Schwerverletzte. Die 66.000 in der Stadt eingeschlossenen Menschen erwarteten gestern das Eintreffen eines UN-Hilfskonvois mit 100 Tonnen Hilfsgütern aus Belgrad. Aus Sarajevo sollten weitere UN-Soldaten nach Gorazde entsandt werden. Durch die serbischen Angriffe auf Gorazde wurden nach Angaben des UN- Hochkommissariats für Flüchtlinge seit 29. März 715 Menschen getötet und 1970 verletzt. Die Nato hatte den bosnischen Serben am späten Freitagnachmittag mit neuen Luftangriffen gedroht, falls diese ihre Truppen nicht bis Sonntag, 2.00 Uhr, um mindestens drei Kilometer vom Zentrum Gorazdes zurückzögen. Zudem sollten die Behinderungen von UN-Mitarbeitern und Hilfsorganisationen beendet und sollte das Feuer eingestellt werden.

In einem zweiten Ultimatum forderte der Nato-Rat dann am Samstag, die Serben müßten bis zum Mittwoch ihre schweren Waffen um insgesamt 20 Kilometer von allen insgesamt sechs UN-Schutzzonen in Bosnien-Herzegowina zurückgezogen haben. Noch am Samstag hatten die bosnischen Serben die Nato-Forderungen ignoriert. Erst als die USA, Frankreich und Großbritannien begannen, ihr Botschaftspersonal aus der restjugoslawischen Hauptstadt Belgrad abzuziehen, lenkte die Führung um den selbsternannten "Präsidenten" Radovan Karadzic ein.

Nach Angaben des Sarajevoer Unprofor-Sprechers Eric Chaperon ist mittlerweile ein erstes Kontingent von rund 200 Blauhelmsoldaten und anderen UN-Mitarbeitern in Gorazde eingetroffen. Hauptaufgabe der Soldaten sei die Überwachung des serbischen Rückzuges und die Vorbereitung der Evakuierung der Schwerverletzten, so Chaperon weiter. Unklar blieb zunächst jedoch, ob die bosnischen Serben alle von der Nato gestellten Bedingungen erfüllen oder nur Truppen von Gorazde in andere Gebiete verlagern wollten. UN-Sprecher Joe Sills sprach gestern morgen jedoch von "Hinweisen" auf einen vollständigen serbischen Abzug.

Der russische Außenminister Andrej Kosyrew bezeichnete laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax die Nato- Drohungen als "angemessene Antwort" auf die UN-Forderung nach Androhung weiterer Luftangriffe. Der amtierende Vorsitzende des Nato-Rates, Colin Keating, äußerte sich optimistisch hinsichtlich einer Waffenruhe.