Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Der Feind, der nie schläft

Unter Ex-Jugoslawen im In- und Ausland haben Tratsch, Gerüchte und Verschwörungstheorien seit 1991 Hochkonjunktur | Von Rüdiger Rossig

"Die Amis haben Miloevic Geld gegeben!", da ist Rajko sicher. Der 58jährige, der Wert darauf legt, daß er nicht Serbe, sondern Jugoslawe ist, weiß auch, warum: "Miloevic schwächt Europa, das nützt den Yankees, weil sie Angst vor einem starken Euro haben." Überhaupt sei alles, was in Ex-Jugoslawien seit 1991 passiert ist, vom Ausland ausgegangen: "Schließlich wären wir nicht so dumm, uns völlig ohne Sinn unser Land zu zerstören."

Rajko ist kein Einzelfall: Daß die USA Slobodan Miloevic eingesetzt haben, um das sozialistische Jugoslawien zu zerstören, ist nur eine der Geschichten, die in mannigfaltigen Variationen sowohl im ehemaligen Staate Titos als auch in der Emigration erzählt werden. Der Unterschied zwischen den Verschwörungstheorien der Albaner, Bosnier, Kroaten, Slowenen oder Serben liegt dabei höchstens in der Benennung des eigentlichen Feindes: Während im Westen des ehemaligen Staates tendenziell "die Russen", aber unterderhand auch "die Amis" und - natürlich - "die Juden" eigentlich an Zerfall und Krieg schuld sind, tendiert die Meinung im Osten eher zum "Vatikan" und "den Deutschen" - alter Feind aus zwei Weltkriegen.

Mit der Gleichschaltung der letzten professionellen Medien in Serbien hat das Miloevic-Regime nach Beginn der Nato-Angriffe ein ideales Klima für Gerüchte geschaffen. Laut Gordan Paunovic, Ex-Redakteur des einst unabhängigen Radiosenders B 92, meinen zur Zeit viele Belgrader, Rußland unterstütze Jugoslawien schon längst militärisch - ohne daß dies vom Rest der Welt bemerkt würde. Konkret informiere Rußland über seine Spionagesatelliten die jugoslawische Armee über alle Nato-Bewegungen. Bedrohte Militärobjekte würden dann entsprechend verlagert. Ziel der Aktion sei, bei einem Einmarsch von Nato-Bodentruppen genug Material in der Hand zu haben - womit natürlich kein Angreifer rechne.

Die Tendenz, Tratsch und Gerüchte für bare Münze zu nehmen und daraus Verschwörungstheorien zu entwickeln, hat in Ex-Jugoslawien Tradition. So tauchten 1987 in den kommunistischen staatlichen Medien wie der Belgrader Boulevardzeitung Politika Ekspres Berichte auf, weit im Süden, im Kosovo, würden Albaner Serben vertreiben. Dabei schreckten die "Agenten" des benachbarten, stalinistischen Albanien nicht einmal vor Mord und Vergewaltigung zurück, hieß es bald auch schon bei Radio-Televizija Beograd.

Die Greuelpropaganda fiel auf fruchtbaren Boden: Obwohl die Kosovaren bislang etwa in Kroatien meist als etwas ungebildet, aber als gute Bäcker und Hilfsarbeiter galten, hatte nun jeder zweite schon vor einiger Zeit auch von ihrer angeblich brutalen, antiserbischen Ader gehört.

In der Tito-Zeit wurde den Jugoslawen eingetrichtert, daß sie sich vor zwei Feinden zu hüten hätten: dem inneren und dem äußeren, die beide laut Propaganda "nie schliefen". In dem Theaterstück "Balkanski spijun" hatte der Belgrader Autor Duan Kovacevic schon Mitte der Siebziger die so bei vielen einfachen Gemütern geschürte Paranoia auf die Schippe genommen. 1991 wurde aus der Satire plötzlich Ernst: Als die Republik Slowenien nach ihrer Unabhängigkeitserklärung daran ging, ihre Grenzposten von der jugoslawischen Bundespolizei zu übernehmen, hieß es im Belgrader Rundfunk, Deutschland und Österreich würden das Land angreifen. Interessanterweise glaubten viele Menschen die Meldung - eine Gutgläubigkeit, an der sich bis heute nicht viel geändert hat: So findet man derzeit ohne viel Suchen vertriebene Kosovo-Albaner, die sicher sind, daß ihre Vertreibung von Serben und Amerikanern gemeinsam von langer Hand geplant wurde - als Teil des Kampfes gegen den Islam.

Im muslimischen Teil des weitgehend von serbischen Truppen zerstörten Bosnien-Herzegowina finden sich bis heute Menschen, die sich nach ein, zwei Slivovica als Anhänger der Theorie outen, die Nato habe über vier Jahre den Bosnien-Krieg nur inszeniert, um einen Vorwand für die Stationierung ihrer Truppen zu produzieren, um damit eine Ausweitung des Islam in Europa zu verhindern. Selbst in Kroatien - dessen Bürger nicht gerade im Ruf stehen, Freunde der Serben zu sein - haben dieser Tage Gerüchte Konjunktur, denen zufolge finstere ausländische Mächte nun Krieg im Kosovo führten. Demnach sei die albanische Guerrila UÇK eigentlich ein Produkt Miloevics - der wiederum vor Jahren vom Ausland eingesetzt wurde, um Jugoslawien zu zerstören. Auf die Frage, warum welches Ausland das getan haben sollte, heißt es lapidar: "Weil es uns zusammen zu gut ging."