Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Serben und Albaner: Erfundene Feindschaft zweier Völker

Der angeblich uralte Haß im Kosovo ist ein Produkt des 20. Jahrhunderts | Aus Pristina Rüdiger Rossig

28. Juni 1989: Seit den Morgenstunden treffen die Menschen in Bussen und Privatwagen, auf Traktoren und Pferdekutschen vor dem Denkmal von Kosovo Polje ein. Die Sonne scheint, es wird ein heißer Tag werden. Über der Ortschaft im Süden Serbiens, die auf Deutsch "Amselfeld" heißt, hängt eine Wolke aus Volksmusik, "Rakija" (Schnaps) und Rostilj Grillfleisch). Gegen Mittag ist die Stimmung auf dem Höhepunkt: Die Veranstalter vermelden, nun sei eine halbe Million versammelt, als ein kleiner, etwas rundlicher Mann die Bühne auf der Mitte des Platzes erklimmt: Slobodan Milosevic.

Angespannt lauscht die Menge, als der Chef der Kommunisten Serbiens von den Schlachten spricht, die das serbische Volk im Laufe seiner Geschichte auszufechten hatte. Die Menschen wissen: 600 Jahre zuvor, am "Vidovdan" (St. Veitstag) 1389, war hier bei Amselfeld ein christliches Ritterheer unter serbischer Führung von einer muslimisch-türkischen Streitmacht besiegt worden. Und auch, wen Milosevic als künftiger Gegner ausmachte, ist allen Anwesenden klar: die albanische Mehrheitsbevölkerung der "Autonomen Provinz Kosovo".

Bereits zuvor hatte die staatliche Presse in Serbien eine regelrechte Hetzkampagne gegen diese Bevölkerungsgruppe begonnen: In den Medien stahlen, vergewaltigten oder erschossen Albaner wahllos andere Menschen - vorzugsweise serbische. Der Boden für Milosevics Ansprache war also gut vorbereitet: Die Menge auf dem Amselfeld war begeistert, der bis vor kurzem noch als Apparatschik geltende Milosevic avancierte zum Führer der serbisch-nationalen Bewegung. Die nationale Intoleranz, die zwei Jahre später zum Untergang des gemeinsamen jugoslawischen Staates führen sollte, war offzielle Politik geworden.

Schon zuvor hatte die staatliche "Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste" SANU Schützenhilfe geleistet. In ihrem berühmt-berüchtigten "Memorandum zur Lage der Serben in Jugoslawien" (1985) stellte sie äußerst fragwürdige Thesen zur demographischen Entwicklung im Süden des Landes auf. Demzufolge war die Abwanderung der Serben aus dem Kosovo nicht etwa Folge der strukturellen Schwäche der Region, sondern einer gezielten Unterwanderung durch die Albaner - mit dem Ziel einer Abspaltung der Provinz von Serbien. Die Idee berührt bei vielen Serben einen wunden Punkt: Die offizielle Belgrader Geschichtsschreibung sieht das Kosovo als die "Wiege des Serbentums".

Doch historische Tatsachen spielten für die Menschen, die Milosevic im Verlauf seiner Rede immer frenetischer zujubelten, genauso wenig eine Rolle, wie die Tatsache, daß der von Serbien bemühte Vergleich zwischen den verfemten Türken und Albanern gleich in mehrerlei Hinsicht keinen Sinn macht. So sind bis heute nicht alle Kosovaren muslimisch; rund zehn Prozent von ihnen gehören zur römisch-katholischen Kirche: zur Zeit des mittelalterlichen serbischen Reiches waren sie gar alle Christen, zu einem guten Teil Orthodoxe - genau wie die Serben. An der sagenumwobenen Schlacht auf dem Amselfeld nahmen albanische Edelleute auf der Seite Lazars und gegen die Türken teil.

Die Flucht der christlichen Slawen 300 Jahre später hinterließ nach serbisch-nationaler Geschichtsinterpretation ein sogenanntes Bevölkerungs-Vakuum, in das die Albaner "hineinstießen". Albanische Historiker halten dagegen, die Serben seien auf dem Amselfeld nie in der Mehrheit gewesen, und zudem ja erst einige Jahrhunderte zuvor in die bisher illyrisch-albanischen Gebiete Südosteuropas vorgedrungen. Es ist nicht verwunderlich, wenn die gegensätzlichen Ansichten logisch bei der Frage enden, wem Kosovo heute gehört.

An dieser Stelle hätten die internationalen Beobachter des Zerfalls Jugoslawiens schon vor Jahren aufmerksam werden müssen. Schließlich ist das Muster ja nicht unbekannt - das Beharren auf angeblich ererbtem Land hat Europa zwei Mal in diesem Jahrhundert in den Krieg gerissen. "50 Jahre Vertreibung - Schlesien bleibt unser" - in Deutschland hätte der Ton viele aufmerksam werden lassen. In Ex-Jugoslawien hat er niemanden gestört. Uno, EU, OSZE, die Europäer, sie alle haben die Geschichten der nationalen Historiker für Geschichte gehalten - und damit die Argumente der Kontrahenten für ihr jeweiliges "historisches Recht" aufgewertet.

Dabei ist der "alte Haß" zwischen Serben und Albanern fast noch konstruierter als die anderen "Erbschaften" in Europa. Beide Völker sehen sich in ihrer nationalen Geschichtsschreibung als Opfer der Türkenherrschaft. Die großen Vertreter beider Nationalbewegungen waren miteinander bekannt, bekämpften oft gemeinsam die türkischen "Besatzer". Als Staaten sind Serbien und Albanien seit Ende des Ersten Weltkrieges Nachbarn - zum Krieg kam es nie.

Die Vergiftung der albanisch-serbischen Beziehungen begann 1913, als serbische Truppen in das osmanische Reich eindrangen und die muslimischen Bewohner drangsalierten. Die Greultaten hinderten jugoslawische und albanische Partisanen später nicht daran, im Zweiten Weltkrieg gemeinsam gegen die faschistischen Besatzer zu kämpfen. Nach dem Bruch mit Moskau wütete die titoistische Geheimpolizei auch im Kosovo - Opfer wurden jedoch nicht nur die albanischen, sondern alle Stalinisten. Es stimmt, die Albaner waren in Jugoslawien Bürger zweiter Klasse. Das gilt aber nicht weniger für andere Völker wie die Roma oder die slawischen Muslime.

Eskaliert hat die albanisch-serbischen Beziehungen Milosevic. Seit seinem Amtsantritt als Chef der serbischen Kommunisten 1987 hat der heutige jugoslawische Präsident die albanische Minderheit im Lande systematisch als Sündenbock aufgebaut.